Heimspiel für Anne Weber
Deutsche Buchpreis-Gewinnerin liest am Wolfgang-Ernst-Gymnasium, an dem sie vor 40 Jahren ihr Abitur ablegte.
Von Leona Beitz und Malin Ungermann
Eigentlich lebt die renommierte Autorin und Deutsche Buchpreisträgerin Anne Weber in Paris. Doch jetzt las sie vor Schülerinnen und Schülern der Oberstufe am Wolfgang-Ernst-Gymnasium in Büdingen, an dem sie selbst vor vierzig Jahren ihr Abitur ablegte. Im Zentrum ihrer Lesung stand ihr Werk „Annette, ein Heldinnenepos“, mit dem sie der vor einem Jahr verstorbenen französischen Widerstandskämpferin Anne Beaumanoir ein Denkmal setzte.
„Ich möchte gar nicht so lange lesen“, begann Weber die Veranstaltung, „mir ist es wichtiger, dass wir zusammen über die Protagonistin ins Gespräch kommen“. Damit fühlten die Schülerinnen und Schüler, die fast alle einen Deutsch- oder Französisch-Leistungskurs besuchen, sich sofort persönlich angesprochen und das merkte man an der aufmerksamen Art, wie sie der Lesung einiger Passagen aus dem Epos folgten.
Anne Webers Text, für den sie 2020 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurde, erzählt die Geschichte der Französin Anne Beaumanoir, Annette genannt, die im Zweiten Weltkrieg in der französischen Résistance und im Algerienkrieg für Algerien kämpfte. Die Schülerinnen und Schüler erfuhren, wie die Protagonistin mit nur neunzehn Jahren in den Untergrund ging und jüdische Menschen vor den Nazis versteckte. Besonders berührt waren sie davon, dass die Widerstandskämpferin dabei nicht nur ihr eigenes junges Leben aufs Spiel setzte. Sie musste auch die Verantwortung dafür tragen, dass sie auf ein Razzia-Gerücht hin Kinder ihren Eltern entriss, um diese quer durch Paris zu schmuggeln und in Sicherheit zu bringen. Denn auch ein Aufgreifen auf der Flucht hätte deren Tod bedeutet. Weber berichtete weiter von den eigenen Entbehrungen Beaumanoirs, ihrer Verhaftung und Flucht während des Algerienkrieges und der damit verbundenen Trennung von den eigenen Kindern.
Auch für die ungewöhnliche Entscheidung, die Geschichte von Anne Beaumanoir als Epos zu verfassen, interessierte sich das Publikum. Es sei eine für heutige Verhältnisse etwas ungewöhnliche Art, ein Buch zu schreiben, gab Anne Weber zu, allerdings sei ihr dies passender als die Romanform erschienen, weil sie sonst viele Anteile hätte erfinden müssen. Die Geschichte sollte „echt“ bleiben: „Ich wollte Annette Beaumanoir keine Worte in den Mund legen, die sie nie gesagt hatte.“ Ein Epos erzähle, ohne zu fiktionalisieren und dennoch sei es wichtig zu wissen, dass die Zeilen von ihr geschrieben wurden und nicht von Annette selbst, gibt die Autorin mit Blick auf die Authentizität des Textes zu bedenken. Auf die Frage nach der Übersetzung ihrer Bücher, berichtet Weber, dass sie ihre Texte in beiden Sprachen verfasse. Das Heldinnenepos habe sie aber zuerst in Deutsch geschrieben und dann ins Französische übertragen.
Der Kontakt der Autorin nach Büdingen ist nie abgerissen, denn ihre Familie lebt weiterhin hier und Anne Weber kommt oft in die Stadt, um vor allem ihre Mutter zu besuchen. Sie erfreue sich dann an deutschem Brot und Kuchen. Insgesamt sei sie aber eher eine Großstädterin und finde das Leben auf dem Land recht beschaulich.
Fotos: DI